Tiefenphänomenologie

ZUR ENTSTEHUNG DER TIEFENPHÄNOMENOLOGIE (1977–2016)

Offizieller Bericht

Geschrieben in München, Ende Juli 2016

Sánchez de Murillo

José Sánchez de Murillo


I. Historische Daten


1. Der Ansatz der Tiefenphänomenologie ist in den Jahren 1977–1980 entstanden aus Forschungen zum Werk Jakob Böhmes (1575–1624), genannt PhilosophusTeutonicus.
2. Einige Teile dieser Forschungen wurden im SS 1980 der Phil. Fak. der Univ. Würzburg unter dem Titel "Der Geist der deutschen Romantik. Franz von Baaders Versuch einer Erneuerung der Wissenschaft. Von Kant zu Jakob Böhme" als Habilitationsschrift vorgelegt.
3. Zur Begutachtung wurde – auf Empfehlung des ersten Gutachters – eine siebenköpfige (statt wie üblich eine dreiköpfige) Kommission gebildet.
4. Die Gutachter fanden keinen Zugang zur Arbeit. Der Autor wurde zu Einzelgesprächen zitiert. Eine Verständigung war deshalb nicht möglich, da sich noch keiner von ihnen je mit Jakob Böhme befasst hatte. Folglich vermochten sie die leitende Absicht der vorgelegten Untersuchungen ("Von Kant zu Böhme", also zurück zum Null-Punkt!) nicht nachzuvollziehen, was auch jeder zugab.
5. Als einziger hatte Gutachter Prof. Dr. A.S. das im Schlussteil erstmalig niedergeschriebene und programmtisch angeführte Wort "Tiefenphänomenologie" wahrgenommen. Im Gespräch präzisierte er zutreffend, dass er eine Verbindung dieser Arbeit zur damals in Würzburg vertretenen Strukturphänomenologie nicht zu entdecken vermochte. Ferner wendete A.S. ein, die vom Habilitanden verwendeten Kategorien seien keine etablierten. Warum sollten sie es nicht werden, meinte der Habilitand? A.S. schwieg.
6. Nach diesem Gespräch bezweifelte der erste Gutachter, ob er eine Arbeit, deren Denken nicht in seinem Sinne war, als Habilitationsleistung in Würzburg empfehlen wolle. Daraufhin nahm der Kandidat sein Habilitationsgesuch bei der Universität Würzburg zurück, bevor die Habilitationskommission darüber urteilen konnte.
7. Die Arbeit wurde im SS 1981 der Phil. Fak. der Univ. Augsburg vorgelegt und als Habilitationsschrift einstimmig angenommen. Nach dem Habilitationsvortrag vor allen Professoren der Phil. Fakultäten I. und II. erfolgte ebenso einstimmig die Habilitation am 23. Februar 1983, kurz nach Vollendung des 40. Lebensjahrs des Kandidaten, der auf Empfehlung der Universität Augsburg auch die Venia Legendi für das Fach Philosophie vom Bay. Kultusministerium erhielt.
8. Nach zwei Arbeitsjahren konnte das überarbeitete Manuskript – trotz erneuten Widerstandes, nunmehr bezüglich der Veröffentlichung –, schließlich doch im damals neu gegründeten Verlag Dr. Pfeil mit dem Titel erscheinen: José Sánchez, Der Geist der deutschen Romantik. Der Übergang vom logischen zum dichterischen Denken und der Hervorgang der Tiefenphänomenologie. München 1986.
9. Während der Überarbeitungszeit 1980–1985 blieb das Manuskript der Habilitationsschrift in den Händen der Gutachter. Einer von ihnen machte wiederholt – auch in Gegenwart des Autors, aber ohne ihn zu erwähnen – in Vorlesungen und Schriften davon Gebrauch.
10. Nach Erscheinen des Buches verwandelte sich der Widerstand in Parteilichkeit. Diejenigen, die am entschiedensten versucht hatten, die Habilitation zum Scheitern zu bringen und die Veröffentlichung zu verhindern, behaupteten nun unverfroren, zur Entstehung der Tiefenphänomenologie beigetragen zu haben. Zu diesem Zwecke wurden nachträglich Schriften vordatiert. Das Interesse galt aber nicht dem Inhalt, sondern lediglich dem Wortklang.

II. Vorläufer


1. Der Ansatz der Tiefenphänomenologie geht einzig auf den Philosophus Teutonicus, Jakob Böhme zurück.Unter seinen Interpreten waren dabei von Bedeutung der Arzt, Bauingenieur, Philosoph Franz Xaver von Baader (1765–1841) und der Naturwissenschaftler und Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775–1854), der Böhme als "Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit" bezeichnete.
      Anmerkung: Gelegentlich behauptete Einflüsse neuzeitlicher Philosophien
      auf die Tiefenphänomenologie sind unzutreffend. Die Behauptungen erklären
      sich durch Unkenntnis sowohl des Denkens Jakob Böhmes als auch der
      einschlägigen Urschriften, auf die in diesem Bericht hingewiesen wird.
2. Hegel nannte Jakob Böhme anerkennend den "ersten deutschen Philosophen", stieß sich aber an dessen Andersartigkeit. Ihm blieb der Denker aus Görlitz fremd.
3. Nun entdeckt die Tiefenphänomenologie "den ersten deutschen Philosophen" als den "Deutschen Vorsokratiker" neu.
      Vgl. José Sánchez de Murillo, Jakob Böhme – Der deutsche
      Vorsokratiker, in: Erkenntnis und Wissenschaft – Jacob Böhme (1575–1624),
      Internationales  Jacob-Böhme-Symposium Görlitz-Zittau 2001, 128–153.
4. Mensch und Werk bilden zusammen die tiefenphänomenologische Gestalt. Als solche stellt Jakob Böhme die Einheit von Parmenides (Sein) und Heraklit (Werden) dar. Was anfänglich als Gegensätze gedacht wurde, offenbart sich nun als dasselbe. Doch Dasselbe erscheint in der Umkehrung je nachdem, ob es von der Tiefe her bzw. auf der Ober-Fläche erfahren wird.
     Vgl. Böhmes Bild der philosophischen Kugel, die zugleich dunkel und hell ist.
     Nicht also ist die Kugel auf der einen Seite hell und auf der Rückseite dunkel,
     sondern jeweils gänzlich dunkel und hell.
a) War bei der ersten Vorsokratik Logos, so ist jetzt Ungrund das Urwort. Un-Grund verneint, was er zugleich bejaht – und drückt somit das Paradoxon aus, welches Seiendes überhaupt durchdringt: Alles ist und ist nicht in einem. Das Nichts, das Etwas ist, ist die materia prima tiefenphänomenologischen Philosophierens.
b) Die abendländische Denk- und Kulturgeschichte war und ist vom Glauben an den Logos geprägt. Deshalb meinte sie, über Sein und Seiendes nicht nur aussagen, sondern auch bestimmen zu können. Die geschichtliche Phase – da der Mensch als König der Schöpfung und Hirt des Seins auftritt – ist nun eigentlich zu Ende gegangen, selbst wenn sie empirisch weiter besteht. Neues keimt auf!
c) Das Denken aus der Erfahrung des Ungrundes leitet eine neue Geschichte des Menschen und seiner Beziehung zu Natur, Welt und zum Kosmos ein. Die Vorhalle der neuen Ära wird als "Neue Vorsokratik" bezeichnet.
     Vgl. Durchbruch der Tiefenphänomenologie: Die Neue Vorsokratik. Stuttgart,
     Kohlhammer, 2002.

– (Die Fortsetzung dieses Berichtes finden Sie auf dieser Website in "Aus unserer Forschung".) –

nach oben